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Interview im Rahmen der langen Woche der Bildung

Interview im Rahmen der Langen Woche der Bildung

Moritz Schwerthelm

Was sagt Wissenschaft zur Bedeutung von sogenannter non-formaler und informeller Bildung?

Für den Bestand moderner demokratischer Gesellschaften ist es notwendig, dass sich Menschen auf zweierlei Weise in die Gemeinschaft einbringen und diese mitgestalten: zum einen durch ökonomische und zum anderen durch politische Integration. Ökonomische Integration bedeutet, dass sich Menschen durch Arbeit an der Reproduktion der Gesellschaft beteiligen und dadurch auch am Wohlstand teilhaben können. Es ist die Aufgabe der Schule junge Menschen durch formale Bildung darauf vorzubereiten. Politische Integration meint, dass sich Menschen in Auseinandersetzung mit anderen Gesellschaftsmitgliedern an gesellschaftlichen oder politischen Beratungen und Entscheidungen beteiligen müssen. Sie nehmen also an Demokratie teil. Dabei verwirklichen sie ihre eigenen Interessen, setzen sie aber auch in ein Verhältnis zu denen ihrer Mitbürger*innen. Ein solches Handeln eröffnet schon im Kleinen das, was wir non-formale und informelle Bildung nennen. Diese setzt die Eigenaktivität, der sich bildenden Menschen voraus. Selbstbildung beginnt also mit der konkreten Erfahrung, eigene Interessen zu verfolgen und sich in Auseinandersetzung mit anderen den eigenen oder gemeinsamen Themen zu widmen. Insofern ist Selbstbildung auch weniger ein individueller Prozess, sondern hat eine starke soziale Komponente. Hier besteht eine Verbindung zwischen Selbstbildung und Demokratiebildung, weil sich diese in der (im besten Falle) demokratischen Auseinandersetzung mit anderen vollzieht. Das heißt, wir lernen dort demokratisch zu handeln, wo wir jetzt schon Demokratie ausüben können.

Dieser zweite Aspekt von Bildung müsste, so sollte man meinen, gerade in Zeiten in denen von einer „Krise der repräsentativen Demokratie“ die Rede ist, besondere Beachtung finden. Allerdings rückt er in öffentlichen Debatten sehr häufig in den Hintergrund und die Qualifikation für den Arbeitsmarkt dominiert. Studien zur Bildung junger Menschen bestätigen dies und die aktuelle Jugendforschung stellt fest, dass die Corona-Pandemie die Reduzierung junger Menschen auf ‚Schüler*innen‘ noch einmal deutlich verstärkt hat: Alle Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen werden weitreichend eingeschränkt. Vor allem über das Home-Schooling und die Öffnung der Schulen wird diskutiert. Versuche junger Menschen, die für Selbstbildung notwendigen sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten, werden in Medien problematisiert und unter Stichwörtern wie „Corona-Partys“ oder einer „gesteigerten Nutzung digitaler Medien“ als Gefahr abgetan. Obwohl die darin steckende Artikulation gesellschaftlicher und politisch relevanter Themen, wie die Klimakrise, die Chancenungleichheit oder die Benachteiligung in der Corona-Krise, eigentlich nicht zu übersehen sind.

Wo findet das für (Kinder und) Jugendliche statt?

Informelle Bildung kann im Prinzip überall dort stattfinden, wo sich Menschen eigenaktiv im Alltag mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Es gibt jedoch nur wenige Bereiche, wo eine solche Bildung pädagogisch unterstützt wird. Das nennen wir dann non-formale Bildung. Hier sind pädagogische Fachkräfte per Gesetz dazu verpflichtet, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, die jungen Menschen Selbst- und Demokratiebildung ermöglichen. Das ist vor allem die Kinder- und Jugendarbeit wie sie selbstverständlich auch in Hameln-Pyrmont existiert, also Jugendzentren, Jugendprojekte, kommunale Jugendbeteiligung und Jugendverbände, wie die Pfadfinder oder die kirchlichen Jugendorganisationen. Aber auch in Kindertagesstätten und Ganztagsangeboten an Schule sollte es genau darum gehen. In diesen Bereichen sind tagtäglich qualifizierte Fachkräfte damit beschäftigt, Interessen von Kindern und Jugendlichen zu erkennen und aufzugreifen. Sie schaffen den nötigen Freiraum zur Beschäftigung mit den eigenen Bildungsthemen und unterstützen junge Menschen dabei, ihre Anliegen in der Öffentlichkeit zu artikulieren und mit anderen Gesellschaftsmitgliedern in einen Dialog zu treten. So eröffnen sie Bildungserfahrungen, die einerseits für ihre Selbstverwirklichung und andererseits für unsere demokratische Gesellschaft wichtig sind. Wie sie dies tut, erzähle ich ja noch einmal ausführlich in dem Video [Link zum Video]. Abgesehen davon, dass diese Berufsgruppe relativ schlecht bezahlt wird, übernimmt sie eine nicht leichte Aufgabe. Denn gleichzeitig wird sie von Entscheidungsträgern vermehrt in die Pflicht genommen, die Schule mit ihrer Funktion der Qualifikation und Ausbildung zu unterstützen. Statt als einziger gesellschaftlicher Bereich, in dem Selbst- und Demokratiebildung pädagogisch unterstützt wird, eben dieser Aufgabe nachkommen zu können, sollen sie bei den Hausaufgaben unterstützen, Berufsberatung und Bewerbungstrainings anbieten und ‚schulische Probleme‘ lösen. Wie auch der letzte Jugendbericht der Bundesregierung feststellt, ist das ein großes Problem, weil jungen Menschen so immer weniger Bereiche zur Verfügung stehen, in denen sie sich erstens selbstverwirklichen und sich zweitens auf demokratische Weise in die Gesellschaft einbringen können.

Was können Kommunen zur Unterstützung non-formaler und informeller Bildung tun?

Zunächst wäre das die Anerkennung des spezifischen Auftrags zur Selbst- und Demokratiebildung der Jugendarbeit. Ein Problem dabei ist, dass die Wirksamkeit solcher Formen von Bildung kaum gemessen werden kann. In einer Gesellschaft, die sich stark an ökonomischen Prinzipien der Effizienz und Effektivität orientiert, werden die spezifischen Leistungen der non-formales Bildung deshalb nicht angemessen anerkannt. Dies wirkt sich auch auf die Finanzierung dieses Feldes aus, dass zunehmend gegenüber jenen Bereichen benachteiligt wird, die sogenannte ‚individuelle Leistungen‘ erbringen und deshalb ihre Wirksamkeit vermeintlich besser nachweisen können: Ob eine Jugendliche einen Arbeitsplatz bekommt oder ihre Existenz ökonomisch gesichert ist, kann ich messen. Mal abgesehen davon, dass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, wessen Verdienst dies ist. Ob oder inwieweit ein non-formales Angebot dazu beiträgt, dass sich eine Jugendliche selbst verwirklicht und demokratisch in die Gemeinschaft einbringt, ist viel schwerer zu messen. Die Statistiken geben Aufschluss darüber, dass der Anteil der Ausgaben für die Jugendarbeit an den Gesamtausgaben der Jugendhilfe bundesweit immer geringer wird. Zur Unterstützung non-formaler Bildung muss jedoch eine Finanzierung der Jugendarbeit gewährleistet sein und bleiben, die dem Bedarf der Kinder und Jugendlichen an Freiräumen für selbstbestimmte und demokratische Bildung gerecht wird.

Neben der Sicherung des Handlungsfeldes ist ein weiterer Punkt fast noch entscheidender: die kommunale Beteiligung junger Menschen. Dazu sollten Kommunen verstärkt Kooperationen zwischen Trägern der non-formalen Bildung anregen, in denen es wirklich um die Interessen der Kinder und Jugendlichen geht. Denn das alles hat wenig Sinn, wenn die Artikulation eigener Anliegen und die Versuche der Mitgestaltung von Gesellschaft ins Leere laufen und die Interessen junger Menschen nicht berücksichtigt werden und ihnen keine Mitbestimmungsrechte gewährt werden, wie es die UN-Kinderrechtskonventionen und Bundes- sowie Landesgesetze eigentlich vorsehen. Schließlich haben alle jungen Menschen ein Recht darauf, sich an Entscheidungen zu beteiligen, die sie betreffen. Es ist die Funktion der Kinder- und Jugendarbeit, die Verwirklichung dieses Rechts zu unterstützen.